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Copyright-Schützer als Piraten unterwegs

In letzter Zeit haben mehrfach angebliche Copyright-Inhaber Daten und Dateien sperren bzw. blockieren lassen, für die sie gar nicht die entsprechenden Rechte haben. Wenn Raubkopierer Verbrecher sind, sind es auch alle, die unberechtigt Rechte geltend machen. Wo bleiben die Gesetze, die uns vor solchen Machenschaften schützen?

"Roboter schaltet Übertragung von SF-Preis aus!"

Die Folgen automatischer Filter zur Verhinderung von Urheberrechtsverletzungen wurden in der vorigen Woche mal wieder eindrucksvoll demonstriert. Erst wurde am 2. September die Liveübertragung der Verleihung des Hugo-Awards über Ustream von einem Robot ausgeschaltet. Das ergibt doch eine tolle Schlagzeile bzw. Überschrift: "Roboter schaltet Übertragung von SF-Preis aus!" Danke für diese Vorlage, Herr Roboter!

Auslöser der Sperre waren u.a. einige Ausschnitte aus Doctor-Who-Folgen, die anlässlich der Preisverleihung an deren Autor gezeigt wurden. Diese und alle anderen gezeigten Ausschnitte waren von den produzierenden Filmstudios selbst bereit gestellt worden, es gab also keinerlei Copyright-Verstöße. Zumal die Ausstrahlung im Rahmen der Award-Verleihung auf Grund des US-amerikanischen Rechts auf "fair use" sogar ohne diese Zustimmung erlaubt wäre. Nur hat man leider vergessen, dass dem zuständigen Robot einzuprogrammieren.

Und um das ganze noch schlimmer zu machen, war Ustream nicht in der Lage, die von einem Drittanbieter, Vobile, durchgeführte Sperre aufzuheben und die Übertragung fort zu setzen. Erst mal ist es schon peinlich, wenn man die eigene Technik nicht so weit im Griff hat, dass man eine eingekaufte Dienstleistung nicht kurzerhand überbrücken kann, wenn sie eine Störung verursacht. Noch peinlicher wird es, wenn man dem Drittanbieter nicht informiert und zur umgehenden Korrektur des Fehlers auffordert. Das würde doch eigentlich jeder machen, oder? Nicht so Ustream. Auf die Idee, Vobile zu kontaktieren, war man nicht gekommen, dort erfuhr man erst aus den Medien von der Panne. Außerdem ist das Vobile-System nur für die Erkennung Copyright-geschützter Inhalte zuständig, wie die Nutzer des Systems darauf reagieren, ist allein deren Entscheidung. Womit sich wieder die Frage stellt, wieso Ustream nicht in der Lage war, die Übertragung fort zu setzen.

Aber auch der Veranstalter der Award-Verleihung ist nicht ganz unschuldig: Er hätte Ustream über die Verwendung des Copyright-Geschützten Materials und die vorliegende Lizenz informieren können, um dann über eine Whitelist vor Sperren geschützt zu werden. Andererseits: In was für einer Welt leben die in den USA denn, dass man dort ankündigen muss, sich an Gesetze zu halten?

Wer hat das Copyright für Michelle Obamas Reden?

Es weiteres Beispiel für den Irrsinn automatischer Sperren gab es dann am 5. September. Diesmal erwischte es US-Präsident Obama persönlich bzw. dessen Frau: Die Übertragung vom Nominierungs-Parteitag der demokratischen Partei wurde von Youtube nach der Rede von Michelle Obama blockiert. Erst gab es eine Meldung über die angeblichen Copyright-Verstöße, dann wurde das Video auf "privat" gestellt.

Angeblich hätte statt der Meldung über Copyright-Verstöße die Meldung 'This event is complete' angezeigt werden sollen. Eine Erklärung, wieso das Video von Michelle Obamas Rede dann als "privat" markiert wurde, gibt es nicht. Sollte da beim Ghostwriter gespart worden sein und die Rechte für die Übertragung ins Internet fehlen?

Generell Copyright-frei, trotzdem blockiert

Auch die NASA leidet immer mal wieder unter widerrechtlichen Sperren des eigenen Materials. Das in meinen Augen pikante darin: Da dieses Material mit US-Steuergeldern finanziert wurde, unterliegt es nicht dem Copyright. Würde jemand die Finger nach physikalischem US-Eigentum ausstrecken, würden die USA sicher nicht zögern, mit aller militärischen Macht zuzuschlagen. Wieso gibt es dann die Unternehmen noch, die sich an immateriellen Gütern vergreifen?

Copyright-Beschwerde für Schadsoftware? Sofort verhaften!

Noch eine Steigerung gefällig? Wie wäre es mit jemanden, der behauptet, er hätte das Copyright für Schadsoftware? Ja, auch solche Copyright-DAUs gibt es. Mila Parkour betreibt das Contagio Malware Blog und stellt für Untersuchungen auch Schadsoftware zum Download bereit. Die Dateien werden in der Cloud gehosted, bei Mediafire. Jetzt ist ein "Copyright-Schützer" auf die Idee gekommen, dass das gar keine Schadsoftware sei, sondern Copyright-geschütztes Material eines seiner Klienten, und Mediafire hat die Daten darauf vorerst blockiert, dann aber wieder frei geschaltet. Um was es sich handeln soll und wer der angebliche Copyright-Inhaber ist, wurde in der DMCA-Beschwerde an Mediafire entgegen den Bestimmungen verschwiegen. Anstoß genommen wurde an einem öffentliche Patch für Microsoft Office und zwei passwortgeschützten ZIP-Archiven mit bösartigen PDF-Dateien. Die ganze Geschichte gibt es bei Contagio zu lesen. Wahnsinn!

Zumindest im Fall der passwortgeschützten ZIP-Archive sind die Behauptungen auf jeden Fall falsch, denn die kann der "Copyright-Schützer" ja gar nicht entpacken und also auch nicht mit "seinen" Dateien vergleichen. Und wenn man sich die erste Beschwerde ansieht, die außer dem Office-Patch ein lange Liste weiterer Copyright-Verstöße aufführt, drängt sich doch die Frage auf, wie viele davon wohl berechtigt sind.

Auf jedem Fall sollte sich die Polizei mal auf den Weg machen und dem "Copyright-Schützer" auf den Zahn fühlen. Entweder macht der falsche Behauptungen oder verbreitet Schadsoftware. In beiden Fällen dürfte das ein Fall für den zuständigen Staatsanwalt sein, oder?

Copyright-Beschwerden - Ein zweischneidiges Schwert

Dass die Hoster etc. auf Copyright-Beschwerden reagieren ist richtig und wichtig. Wenn das aber auf Seiten der Copyright-Inhaber vollkommen automatisiert passiert, muss es schon rein technisch zu Fehlern kommen. Zur Erkennung der Dateien werden Hash-Werte verwendet, da kommt es zwangsweise zu Kollisionen, d.h. mehrere Dateien ergeben den gleichen Hashwert. Das muss bei Beschwerden berücksichtigt werden. Ein übereinstimmender Hashwert ist nur ein Hinweis darauf, dass zwei Dateien identisch sind, kein Beweis. Die gefundenen Dateien müssen also manuell geprüft werden. Das verdirbt den entsprechenden Anbietern natürlich das Massengeschäft, also verzichten sie darauf. Und da hört der Spass auf.

Hier muss der Gesetzgeber dringend nachbessern. Wer behauptet, das Copyright für eine Datei zu haben und Sanktionen welcher Art auch immer für einen mutmaßlichen Kopierer fordert, muss in Gegenzug ebenso bestraft werden, wenn seine Behauptung falsch ist. Und da die Medienindustrie ja immer von riesigen Schadensummen ausgeht, muss sie dann natürlich auch entsprechend hohe Summen Schadenersatz für die selbst angerichteten Schäden zahlen. Mal sehen, wie lange die Verwerter dann noch mit der digitalen Schrotflinte auf harmlose Dateien schießen.

Carsten Eilers

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