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Googles Blick über den Sichtschutzzaun

Wirklich interessante Vorfälle, die es zu kommentieren lohnt, gab es in der vergangenen Woche eigentlich nicht. Streetview als Dauer-Reizthema wollte ich eigentlich ignorieren, aber mangels anderer Themen und der schönen Vorlage des Google-Europachefs, der meint, Google würde die Privatsphäre achten, mache ich mal eine Ausnahme

Privatsphäre aus der Fußgängerperspektive?

Das folgende Zitat stammt aus einer Meldung auf sueddeutsche.de, aber es gibt sicher noch mehr Fundstellen. Demnach hat der Google-Europachef Philipp Schindler der BILD-Zeitung gegenüber gesagt

"Wir achten die Privatsphäre der Menschen sehr. Etwas Öffentlicheres als Häuserfassaden gibt es jedoch nicht."

Ein auf den ersten Blick gutes Argument, dem ich sogar zustimmen würde. Wenn Google nicht rein zufällig eben gegen beide Sätze permanent verstoßen würde. Rollen wir das ganze von hinten auf: "Etwas Öffentlicheres als Häuserfassaden gibt es jedoch nicht.". Mich stört die Veröffentlichung der Hausfassade zumindest aus Datenschutzsicht ziemlich wenig. Das der Datenkrake Google die Fotos macht, steht auf einem anderen Blatt. Auch das Google mit diesen Fotos Geld verdienen will (und das ja wohl nicht zu knapp, sonst würden sie sich ja die Mühe der Aufnahmen nicht machen) kann man ihnen kaum vorwerfen. Vielleicht mal ein kleiner Tipp an die Politiker: Wie wäre es mit einer Steuer für solche Nutzungen des öffentlichen Raums? Natürlich für alle entsprechenden Anbieter und nicht nur für Google. Mit etwas Glück droht Google dann mit dem Abschalten von Streetview und das Problem erledigt sich von selbst. Warum wurde das großzügige Angebot der Atomindustrie eigentlich noch nicht angenommen? Besser könnte Schwarz-Gelb doch den eigenen Ruf gar nicht aufpolieren. Ich dachte ja, wir brauchen zumindest einige der AKW noch für ein paar Jahre, aber wenn sie sofort weg können - um so besser.

Hier sehen sie die Fassade - von vor ein paar Jahren

Aber ich schweife ab, zurück zur öffentlichen Fassade. Natürlich kann jeder die Hausfassade sehen, aber um die geht es zumindest mir nicht. Und sollte Google wirklich auf die Idee kommen, hier im Ort alle Straßen abzufahren und zu fotografieren, kann die Fassade auch gerne unverpixelt bleiben. Ich würde sie höchstens löschen lassen, um Google zu ärgern - aber dafür müsste ich denen viel zu viele weitere Daten in den Rachen werfen. Und das ist das Foto der Fassade einfach nicht wert. Zumal das, wenn es irgendwann veröffentlicht wird, ja sowieso veraltet ist. Was auch das Argument der Werbung für aufgenommene Geschäfte und Restaurants etc. ad absurdum führt. Die meisten dürften längst wieder verschwunden sein, bis die Bilder in Streetview erscheinen. Und damit wäre das eher Negativ-Werbung: Statt der Luxus-Boutique sieht man einen 1-Euro-Ramschladen, statt des Nobelrestaurants eine berüchtigte Kneipe, statt der Buchhandlung eine Bruchbude vor der Renovierung. Wie oft wechseln denn die Geschäfte in den Innenstädten Inhaber und Angebot? Ziemlich häufig. Und wie oft macht Google die Fotos? Genau einmal. Da dürfte für viele Inhaber das Verpixeln zur Überlebensstrategie werden.

Öffentlicher Garten?

Aber ich schweife schon wieder ab: Was mich etwas stört, sind die Aufnahmen vom Garten hinterm Haus. Der ist von der Straße aus nicht zu sehen, jedenfalls nicht für Fußgänger. Die sehen von der einen Seite nur eine 2,5 Meter hohe Hecke und von der anderen die Garage vom Nachbarn. Dazu noch eine Aussage von Google-Europachef Philipp Schindler:

"Wir zeigen nur die Dinge, die jeder beim Spazieren durch eine Straße sehen kann."

Das ist ja wohl eindeutig falsch. Die Streetview-Kameras sind so hoch angebracht, dass sie über übliche Sichtschutzzäune filmen. Und das war ja wohl kaum ein Versehen, sondern vollste Absicht. Soviel zum "Wir achten die Privatsphäre der Menschen sehr." Oder gab es die Rohre, auf denen die Kameras montiert sind, nur in der einen Länge und Google konnte sich keine Eisensäge leisten? Immerhin hat diese Höhe für unsere Hausfassade einen großen Vorteil: Da Google ja wohl meist bei schönem Wetter und damit im Sommer unterwegs ist, bekommen die hier besonders eindrucksvolle Bilder - der Linden vor den Häusern.

Immer mit der Ruhe

Und was den Garten betrifft werde ich erst mal abwarten, bis die Bilder irgendwann online sind, wenn es sie überhaupt geben wird. Mal sehen, was man überhaupt sieht. Wahrscheinlich wird das in unserem Fall auch nicht mehr sein als auf dem Satellitenfoto, dass jetzt schon online ist, wenn ich die Blickwinkel richtig einschätze. Ach ja, die Satellitenbilder sollte Google auch mal irgendwann aktualisieren, die stammen ja wohl aus der digitalen Steinzeit und sind eigentlich nur noch für Historiker interessant. Da sind wohl fast mehr Straßen und Gebäude nicht drauf als drauf.

Generell sollte man mit dem Löschen warten, bis man weiß, was man löscht. Vielleicht ist das Löschen ja gar nicht nötig, weil bei der Aufnahme gerade ein großer LKW zwischen Streetview-Auto und eigenem Haus oder Grundstück vorbei gefahren ist? Und dann würde das Verpixeln mehr Informationen liefern als das Foto des sowieso verdeckten Objekts.

Dass die Streetview-Fotos sehr wahrscheinlicht mit allen anderen Google bekannten Daten verknüpft werden ist zwar nicht gerade unbedenklich, die Summe aller Informationsschnippsel liefert doch meist mehr Informationen als einem recht ist, aber da dürfte ein Foto der Hausfassade das geringste Problem sein.

Google spannt!

Aber um auf den Schutz der Privatsphäre zurück zu kommen: Ich weiß ja nicht, wo Herr Schindler lebt (und habe auch keine Lust, danach zu googeln), aber hier nennt man jemanden, der auf eine Leiter steigt und über einen Zaun oder eine Hecke ein fremdes Grundstück fotografiert, i.A. Spanner, Spion oder ähnliches. Und wie ich in einem Telepolis-Artikel erfahren durfte, gibt es sogar extra einen Paragraphen im Strafgesetzbuch, falls dabei eine Person fotografiert wird:

"§ 201a Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen
(1) Wer von einer anderen Person, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet, unbefugt Bildaufnahmen herstellt oder überträgt und dadurch deren höchstpersönlichen Lebensbereich verletzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer eine durch eine Tat nach Absatz 1 hergestellte Bildaufnahme gebraucht oder einem Dritten zugänglich macht.
(3) [...].
(4) Die Bildträger sowie Bildaufnahmegeräte oder andere technische Mittel, die der Täter oder Teilnehmer verwendet hat, können eingezogen werden. § 74a ist anzuwenden."

Interessant, oder? Ich bin ja mal gespannt, wann es die erste Anzeige gibt. Rein von der Statistik her muss Google ja ein paar Menschen auf deren eigenen Grundstück fotografieren, die damit ganz und gar nicht einverstanden sind, einen guten Rechtsanwalt hinzuziehen und dann Anzeige erstatten. Die Strafe könnte Google aus der Portokasse zahlen, die scheint gut gefüllt zu sein, bei dem vielen Briefspam, den ich dieses Jahr schon bekommen habe. Aber welcher Manager würde wohl für Google ins Gefängnis gehen, falls der Richter das für notwendig hält?

Google interessiert die Privatsphäre nicht

Läge Google wirklich etwas an der Privatsphäre der Menschen, hätten sie die Kameras problemlos direkt auf dem Dach der Autos und damit in Augenhöhe eines Fußgängers anbringen können und müssten sich jetzt nicht vorwerfen lassen, über Sichtschutzzäune etc. hinweg zu fotografieren. Mehr war ja laut Herrn Schindler auch nicht beabsichtigt: "Wir zeigen nur die Dinge, die jeder beim Spazieren durch eine Straße sehen kann." Aber vielleicht sollte Herr Schindler auch erst mal mit seinem Chef sprechen, denn Google-CEO Eric Smith ist bekanntlich der Meinung 'Secrets Are for Filthy People' ("If you have something that you don't want anyone to know, maybe you shouldn't be doing it in the first place."). Bruce Schneier erklärte ihm, wieso er sich damit gewaltig irrt, aber der Mann scheint nicht lernfähig zu sein. Möglich, das Google ebenso wie Facebook einfach nur Pech bei der Wahl des CEO hat - aber wieso ist der dann noch am Ruder?

Wir brauchen ein neues Datenschutzgesetz

Streetview ist nur ein Aspekt eines größeren Problems, und das muss generell gelöst werden und nicht nur für Streetview, nicht nur für alle gleichartigen Dienste, sondern auch für alles, was noch kommen mag. Jetzt Streetview und Co. zu reglementieren, ist sicher notwendig. Aber wie das passiert, in welchen Umfang diese Dienste überhaupt zulässig sein sollen, was sie wie darstellen dürfen und was ausgefiltert oder unkenntlich gemacht werden muss, das muss sehr gut überlegt werden. Viele Informationen sind für sich genommen harmlos oder sogar wertlos, erst durch ihre Verknüpfung untereinander werden sie zu einer Gefahr für die Privatsphäre. Auch das muss sehr gut bedacht werden. Wird jetzt auf die Schnelle ein Gesetz gegen Streetview erlassen und nicht der Datenschutz insgesamt neu geregelt, entstehen garantiert Lücken, die dann mit Sicherheit ausgenutzt werden.

Nehmen wir mal an, Gesichter müssen auf allen Aufnahmen unkenntlich gemacht werden, bevor die ins Internet gestellt werden dürfen. Die meisten einem persönlich bekannten Menschen erkennt man trotzdem, z.B. an ihrem Körperbau, ihrer Kleidung, ihren Bewegungen. Wann gäbe es wohl die ersten Liveübertragungen zusammengeschalteter Webcams nach dem Motto "Folge Deinen Freunden von Haus zu Haus" mit laufender Weiterschaltung zur nächsten Webcam, natürlich mit korrekt verpixelten Gesichtern? "Klicke Deinen Freund an, den Rest macht der Computer!" - Viel Vergnügen in der Welt des Big Web Brothers 3.0, nur echt mir korrekt verpixelten Gesichtern!

Carsten Eilers

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Dipl.-Inform. Carsten Eilers am : Google greift Safari-Benutzer an

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